Mein wahres Leben: Statt Kommentar

Donnerstag, 11. April 2013

Statt Kommentar


Vor ein paar Tagen habe ich eine Mail von Andrea Dantès erhalten. Sie wollte eigentlich mit dem Inhalt dieser Mail einen Kommentar auf der Seite „TS und die Ehe“ abgeben, aber er war zu lang. Deshalb poste ich es hier separat. Hier die Mail:

Liebe Andrea,

eigentlich wollte ich öffentlich kommentieren, aber leider will mir das System nur 4000 Zeichen zugestehen. Und außerdem würde ich mich freuen, wenn Du mich Deinen Kreisen hinzufügst. Hier ist mein Kommentar, es würde mich freuen, wenn Du ihn liest, und wenn Du willst, kannst Du ihn auch gerne in Deinem Blog erscheinen lassen oder zitieren. 
Vielleicht hast Du ja die eine oder andere Anregung für mich, Hilfe kann ich im Moment schon gut gebrauchen. 

Liebe Andrea, Ich bin froh, hier etwas über die Situation anderer verheirateter TS gefunden zu haben. 
Ich bin inzwischen 46 und obwohl mir schon vor einigen Jahren in einer schlaflosen Nacht alles so klar wurde, dass ich glaubte, ich könne es "keinen Tag länger" mehr in meinem männlichen Körper aushalten, habe ich mich bis zum heutigen Tag mit meiner Lage als Ehemann und Vater dreier Schulkinder abgefunden - allerdings nur gezwungenermaßen und unter immer wiederkehrenden Schüben von Verzweiflung. 
Am Morgen nach der besagten schlaflosen Nacht, in der widersprüchliche Dinge, die ich seit meiner Jugend erlebt und getan hatte, auf einmal einen Sinn ergaben, konnte ich nicht mehr an mich halten und fiel mit der sprichwörtlichen Tür ins Haus. Meine Frau wusste, dass ich kein unbeschriebenes Blatt war, ich hatte ihr ziemlich unumwunden fast alles über meine recht bunte Vergangenheit erzählt, allerdings war ich früher ein fröhliches Gemüt, machte mir wenig Gedanken über meine Motive und meine Frau hatte dann wohl auch meine vorehelichen Experimente als für die Gegenwart unbedeutend abgetan, und ich selbst war leider viel besser im Verdrängen als gut für mich war. 
Nur einige Fotos aus meinen 20er Jahren, auf denen ich geschminkt war und wohl so authentisch wirkte, dass es sie beunruhigte , zerriss meine Frau beim Entrümpeln vor meinen Augen. Sie argumentierte, sie wolle nicht, dass unsere Kinder sie eines Tages finden sollten. 
Kurz, meine Frau wusste schon, dass irgendetwas an mir "seltsam" war, wie sie später sagte, hatte sie das sofort gefühlt, als sie mich das erste Mal sah. Doch als ich ihr aus (fast) heiterem Himmel offenbarte, dass ich mich ohne jeden Zweifel als Frau fühlte und es nicht länger aushalten könnte, war sie zutiefst schockiert, was freilich verständlich ist. 
Sie brachte die Situation irgendwie unter Kontrolle, zumindest oberflächlich, indem sie erklärte, so etwas gäbe es doch gar nicht, ich sei doch ein richtiger Mann und außerdem gut bestückt, untersuchte, ob ich vielleicht Fieber hätte und verkündete, ich würde schon sehen, das gehe vorbei und das käme nur daher, dass wir in der letzten Zeit keine Gelegenheit zum Sex hatten. Das Ganze spielte sich im Urlaub kurz vor der Abreise ab und wurde unter den Teppich gekehrt. 
Meine Frau hatte mir deutlich zu verstehen gegeben, dass das Thema nicht weiter zur Diskussion stehe. 

Zurück aus dem Urlaub stürzte ich mich in die Büroarbeit und litt insgeheim, während wir das Spiel "Es ist nichts passiert" spielten. Die innere Emigration tat mir allerdings nicht gut, auch die Arbeit befriedigte mich nicht mehr und ich isolierte mich auch dort zunehmend. 

Einmal überwand ich meine Scham, durchsuchte das Ärzteregister, pickte mir einen auf familiäre Probleme spezialisierten Psychoanalytiker am Wohnort heraus und vereinbarte einen Termin. Dorthin schlich ich mich dann auch im Anschluss an den Bürotag und erzählte ihm, wie es mich quälte, in einem männlichen Körper zu stecken, dass mich meine Frau nicht verstehen konnte oder wollte und so weiter. 
Er meinte etwas dazu wie "interessant, so einen Fall hatte ich noch nie" und dass er mir eigentlich nicht so einfach mal schnell helfen könne, aber ich könne natürlich wiederkommen und er würde mich erst einmal an einen Endokrinologen überweisen... zu welchem ich dann aber nicht gegangen bin. 
Es dauerte nur einige Tage, bis meine Frau von meinem Besuch beim Psychologen erfuhr. Sie hat ein gutes Gespür dafür, wenn ich mit etwas hinter dem Berg halte, vielleicht machte ich auch selbst verstohlene Andeutungen, jedenfalls druckste ich es heraus und es gab einen Höllenkrach - es war nicht der letzte. 

Meine Frau wollte nicht, dass ich mit anderen Leuten darüber spreche, sie sagte, es würde mir selbst nicht gut tun, man würde mich manipulieren und ich würde unglücklich enden. Wenn ich weitermachen wolle, könne ich meine Koffer packen. Ich blieb. 
Innerlich fühlte ich mich so gut wie erledigt, aber sollte ich meine Kinder und meine Ehe aufgeben? Meine Frau ist - was hier vielleicht nicht deutlich geworden ist - ein liebenswerter Mensch, sie liebt mich immer noch, hat selbst schon genug durchgemacht und ist natürlich auch nicht schuld daran, dass ich mir über mich selbst nicht klar geworden war, als wir uns vor 15 Jahren kennenlernten und dann sehr schnell heirateten. 

Beruflich begann sich abzuzeichnen, dass mein Job bald wegrationalisiert werden würde, aber ich war wie gelähmt, brachte keine Initiative auf, rechtzeitig etwas Neues zu suchen. Im vergangenen Jahr wurde meine Abteilung dann tatsächlich aufgelöst, ich unternahm einige fast verzweifelte Versuche, an irgendetwas heranzukommen, was einen Wechsel unserer Lebensumstände mit sich bringen würde. 

Zwischenzeitlich verlor ich auch noch materiellen Spielraum, indem ich mich an der Börse verzockte. (Es hätte ja auch gut gehen können, wenn ich rechtzeitig erkannt hätte, wie tot die Pferde waren, die ich da ritt.) 

Im Eheleben verlegte mich seitdem auf Abwege, versuchte meine Frau für allerhand Rollenspiele zu gewinnen, aber sie kam nie wirklich auf den Geschmack. Und ab und zu mal die Küchenschürze anziehen und mir von meiner Frau Anweisungen zur Ausführung von Haushaltsaufgaben erteilen zu lassen verlor ziemlich an Reiz, sobald ich merkte, dass sie sie sich zwar bemühte, mitzuspielen, es aber bestenfalls ging, wenn gerade mal keines der Kinder da war und dass ich letztendlich immer die Initiative ergreifen musste - was die Rolle irgendwie ad absurdum führte. 
Nicht einmal ein paar Frauenklamotten anziehen durfte ich - vielleicht fürchtete meine Frau, ich würde mich dran gewöhnen. 

Nach einigen schweren Ehekrächen, meinen Versuchen geschuldet, meiner Frau klarzumachen, dass ich nicht einfach so als Mann weitermachen wollte, ist bei uns eine mit Landminen übersäte Wüste, in der wir so gut es geht kameradschaftlich miteinander auskommen und versuchen, unsere Kinder aus der Schusslinie zu halten, wenn es kracht.
Meine Frau geht meistens ihre Freundinnen besuchen, ich habe keine eigenen Freunde, keine Lust herauszugehen. Ich weiß nicht, was ich "draußen" tun soll, wo ich doch nicht sein darf, wie ich bin. 

Wir wohnen in einem Dorf in der Nähe einer Provinzstadt. Meine Frau will nicht, dass irgendwer etwas mitbekommt. Wenn ich mich mal irgendwo anders ausleben wollte, müsste ich mir erst einmal heimlich einen Satz Frauenkleider und Schuhe in Übergröße zulegen - und was soll´s? Reichen würde mir das schon längst nicht mehr. 

Kürzlich habe ich mir eine kräftige Grippe eingefangen - ein guter Vorwand, deswegen und für Routineuntersuchungen ein paar Arzttermine zu machen. Vorgestern habe ich mich meinem Hausarzt, den ich schon etliche Jahre kenne, offenbart. Wie sich dabei herausstellte, hatte er schon einmal einen MzF-Patienten, und will mir Kontakt zu deren Betreuer besorgen. 
Ich hoffe, dass ich in der nächsten Zeit ein paar Transsexuelle vor allem auch in meiner Gegend im Süddeutschen kennenlerne. 
Jetzt sitze ich also mit einem Überweisungsschein für Psychotherapie da und warte auf die Mail von meinem Hausarzt. Meine Frau weiß es (noch) nicht, aber ich hoffe, dass sie vielleicht inzwischen doch wenigstens bereit ist, mir die Psychotherapie zuzugestehen, ohne mich gleich rauszuwerfen. Vielleicht kann ich sie ja später dazu bewegen, mitzukommen. 

Übrigens heiße ich in Wirklichkeit natürlich anders, aber der Vorname ist immerhin ähnlich - und gefällt mir, weil die Schwestern meiner Frau mich vermeintlich spaßeshalber manchmal so nennen. (Vielleicht "ahnen" sie auch was, aber es gibt Kulturen, in denen man leider nicht so einfach über alles reden kann.) 

Der Nachname ist mir spontan wegen der Romanfigur eingefallen, die 14 Jahre auf der Gefängnisinsel Monte Christo vegetiert hat.

Liebe Grüße

Andrea

Meine Antwort dazu ist:

Hallo Andrea,

entschuldige bitte, dass meine Antwort ein wenig gedauert hat.
Danke für das Vertrauen, dass Du mir entgegen bringst.

Wie ich schon öfters geschrieben habe, ist mein hier aufgezeigter Weg nur ein Beispiel, wie es laufen kann. In meinem Fall letztendlich mit positiven Ausgang. Die Situation ist zwar irgendwie immer ähnlich, aber die individuellen Bedingungen sind zu verschieden, um hier spezielle Verhaltensregeln zu geben. Allgemeine Grundregeln, wie man sich richtig verhält und vorgehen kann, um dem Leben die richtige Richtung zu geben, gibt es aber schon. Ich möchte hier auch nicht alles noch mal wiederholen, was ich bisher geschrieben habe, aber hier noch mal das wichtigste.

Wenn man nach jahrzehntelangen Zweifeln an seiner eigenen Geschlechtsidentität und den Versuch in dem Geschlecht zu leben, in dem man nach dem äußeren Anschein geboren ist (Es kann ja nicht sein, dass man eine Frau ist, man ist doch körperlich ein Mann!) selbst feststellt (Transsexualität ist mehr oder weniger immer eine Selbstdiagnose), dass man im falschen Körper „wohnt“, ist es sehr schwer, eine Entscheidung zu treffen, ob man so weiter macht wie bisher oder seine wahre innere Identität auch lebt. Man weiß nicht, was bei einem Outing passiert. Möglich ist alles, vom glücklichen Leben als Frau bis zur kompletten Selbstaufgabe.

Ich kenne mehrere TS, die versuchen hier einen Kompromiss zu finden, indem sie zwar diesen Weg gehen, auch mit Hormoneinnahme und psychologischer Betreuung, aber sich nach außen hin nicht als Frau erkennen geben. Das ist natürlich ein „Drahtseilakt“ und sehr schwierig zu leben. Für mich wäre es keine Lösung gewesen.

Das Risiko, eine nach allem Anschein gut funktionierende Ehe zu zerstören und die Familie in eine schwere Krise zu stürzen, ist nicht gerade klein. Aber was für Alternativen bestehen dann. 

Man lebt so weiter. Aber wie lange hält man diesen Druck noch aus? Oder man geht diesen Weg. 
Dann bin ich der Meinung, man sollte ihn bis in letzter Konsequenz gehen, um wirklich die Chance zu haben, glücklich zu werden. Halb als Frau leben, funktioniert vielleicht, wenn man Transvestit ist, aber nicht wirklich, als Transsexuelle. Aber ob man wirklich glücklich wird, weiß man erst am Ende des Weges.

Wichtig ist aber, nichts zu überstürzen. Als erstes versuche Dich mit anderen auszutauschen, z. B. eine Selbsthilfegruppe in deiner Nähe zu finden. Auch im Internet gibt es gute Möglichkeiten der Kontaktaufnahme (Foren und Gruppen wie dgti, Die andere Seite, TGG usw.). 

Auch brauchst Du einen Psychologen, der schon Erfahrung damit hat. Der Zeitpunkt des Anfanges der psychologischen Betreuung könnte mal auf dem weiteren Weg entscheidend für weitere Schritte wie Hormonbehandlung oder eine Genitalangleichende Operation sein.

Viel Geduld und Einfühlungsvermögen brauchst Du bei deiner Frau. Ihr klar zu machen, dass das kein Fetisch von Dir ist, ist nicht einfach. Auch dass Du sie nicht jahrelang belogen hast, sondern Du erst selbst zu Dir finden musstest, wird sie nicht so einfach verstehen. Natürlich versucht sie, das zu verdrängen und zu ignorieren. Ihr muss klar werden, dass Transsexualität zwar keine Krankheit ist, aber sie Dich krank macht, wenn Du sie nicht ausleben darfst. Und sie muss begreifen, dass Transsexualität auch nicht therapierbar und heilbar ist, dass hier nur die Möglichkeit bleibt, das Leben und den Körper anzupassen. Gib ihr zu verstehen, dass Du sie trotz alledem sehr liebst und dass Du ihre Hilfe ganz dringend brauchst. Hätte ich die Unterstützung durch meine Frau nicht gehabt, wäre der Weg ungleich schwerer gewesen.

Das Outing nach außen zu meiner Umwelt war wiedererwarten einfacher als befürchtet und wir leben auch nicht gerade in einer Großstadt und viele kennen mich hier. Da heißt es einfach zum richtigen Zeitpunkt allen Mut zusammen nehmen und durch.

Ich wünsche Dir alles Gute auf deinem Weg und drücke die Daumen, dass alles in Deinem Sinne läuft.

Liebe Grüße
Andrea 

Eure Andrea

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