Mein wahres Leben: Der Weg

Der Weg

Ab Anfang 2011 habe privat immer mehr als Frau gelebt. Mein Entschluss, in Zukunft als Frau zu leben, stand fest. Ich wusste, das es anders nicht mehr geht.
Zum TS-Lebenslauf, den ich dann zu Beginn meiner Therapie verfassen musste, habe ich einen Brief an meine Frau geschrieben:

Liebe Karola,

bevor Du das hier liest, möchte ich Dir noch ein paar Worte sagen:
Entschuldige bitte, dass ich Dir nicht viel eher die Wahrheit über mich gesagt habe. Aber ich hatte Angst, Angst Dich zu verlieren, Angst, dass sich alle von mir abkehren, Angst, dass dann mein „neues Leben“ vielleicht doch nicht so ist, wie ich es erwartet habe. Und ich schämte mich davor, dass ich Gefühle habe, die kein Mann haben darf, dass ich „Frau“ sein möchte.
Entschuldige auch für alles, was ich Dir bis heute angetan habe und vielleicht auch noch antue. Ich mache es nicht, um Dir weh zu tun, sondern weil ich nicht anders kann.
Ich habe Dich ganz, ganz lieb und danke Dir für alles, was Du für mich bisher gemacht hast, besonders auch für die Unterstützung meines „Frau seins“, obwohl Du verständlicherweise nicht gerade begeistert davon bist.
Ich danke Dir auch, dass Du jetzt im Großen und Ganzen Andrea akzeptierst und tolerierst.
Wenn ich mich dafür entscheide, irgendwann in nächster Zukunft nur noch Andrea zu sein, dann ist das eine Entscheidung für Andrea und nicht gegen Dich.
Wenn ich Andrea werde, sieh bitte nicht die Frau in mir, sondern den Menschen, den Du 38 Jahre lang geliebt hast. Ich werde Dich auch als Andrea lieben. Ich glaube sogar, dass diese Liebe noch viel inniger und schöner werden kann, als bisher. Andrea wird viel ausgeglichener sein als Wolfgang, viel zärtlicher zu Dir und sie wird Dich viel besser verstehen.
Ich hoffe, dass Deine Liebe zu mir größer ist, als die Angst, dass ich Dich dadurch unfreiwillig nach Außen hin zur „Lesbe“ mache.
Aber ich habe keine andere Wahl. Ich würde Dich belügen, wenn ich Dir sagen würde, ich fühle mich nicht als Frau. Ich würde daran kaputt gehen, wenn ich für immer auf Andrea verzichten müsste und es würde immer wieder durchbrechen.
Ich hoffe, dass wir einer der wenigen Paare sein werden, die trotz allem zusammen bleiben. Halte zu mir und ich verspreche Dir alles zu tun, dass das für Dich so einfach und schmerzfrei wie möglich passiert.
Ich liebe Dich!

Deine Andrea 

Am 3. Februar 2011 hatte ich meine erste Therapiestunde bei Dr. Seikowski an der Uni Leipzig (Wie es dazu kam, habe ich hier ausführlicher geschrieben).
Danach sind wir in die Innenstadt gefahren. Beim Stadtbummel hat mich sozusagen keiner besonders „beachtet“. Meine Frau und ihre Schwester sind teilweise extra hinter mir gegangen, um die Leute zu beobachten. Sie haben absolut keine außergewöhnliche Reaktion festgestellt.
Auch in einem vollbesetzten Café, wo wir einen Eisbecher genossen haben, hatte mich keiner angestarrt oder ähnliches. Der Kellner hat mich zuvorkommend als „Frau“ behandelt, obwohl ich ihn eigentlich verärgert haben müsste, da wir uns einfach an einem reservierten Tisch gesetzt hatten.

Im März 2011 hatte ich das Outing in der Familie und im Bekanntenkreis abgeschlossen. Es gab nicht einen, der sich negativ geäußert hat oder gar sich von mir abgewendet hat.

Ende März habe ich auch, nach mehreren in kürzeren Abständen erfolgenden Sitzungen, mein medizinisch-psychologisches Gutachten von Dr. Seikowski erhalten, das mir meine Transsexualität bescheinigt. Meine Frau war immer mit dabei. Am Anfang war ich ein bisschen skeptisch, zu einem Mann als Therapeuten zu gehen. Ich wollte eigentlich lieber zu einer Frau. Aber Dr. Seikowski wurde mir von einer bekannten TS empfohlen. Ich habe es aber nicht bereut. Herr Dr. Seikowski ist wirklich kompetent, einfühlsam und hat viel Erfahrung im Umgang mit Transsexuellen. Da weiß man sich in guten Händen. Ich glaube, er hat meine Situation schnell erfasst. Er hat weder versucht mich in etwas zu bestärken noch was auszureden. Es hat mir sehr geholfen, mein eigenes „ich“ zu finden.

Am 08.04.2011 war ich in Magdeburg bei Frau Dr. med. Carola Altus, Praxis für Medizinische Genetik, zur Chromosomenanalyse. Am 15.04. 2011 habe ich dann den Befund erhalten. Die Untersuchung ergab einen unauffälligen männlichen Karyotyp 46,XY. Also genetisch bin ich ein Mann.

Jetzt fehlte nur noch das Outing im Beruf.
Ich setzte ich mich mit der Gleichstellungsbeauftragten und der Pressestelle des Landkreises Harz (mein Arbeitgeber) in Verbindung. Gemeinsam haben wir dann mein offizielles Outing in der Mitarbeiterzeitung des Landkreises Harz vorbereitet, welches dann in der Ausgabe April 2011 am 29.04.2011 veröffentlicht wurde.


An diesem Tag bin ich als Frau zur Arbeit gegangen und lebe seit dem nur noch als Frau. Meine Männersachen habe ich gleich am nächsten Tag alle verschenkt oder weg geworfen.

Ich hätte mir nie im Leben vorstellen können, so viele positive Reaktionen zu bekommen.
Unzählige E-Mails, Telefonanrufe und Gespräche. Und alle haben mich beglückwünscht und für meinen weiteren Weg alles Gute gewünscht oder haben einfach nur Fragen gehabt.
Und es war nicht eine negative Reaktion dabei. 


Hier ein Auszug der E-Mails (anonymisiert, Anreden und Grüße entfernt):

„Hut ab!!
Ich möchte Ihnen zu Ihrem Mut gratulieren.
Auf gute Zusammenarbeit, weiterhin.“

„Ein mutiger Schritt.
auch wenn Ihr Name in dieser Kombination noch ungewohnt für mich ist -
ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Glück im weiteren Leben!“

„alle Daumen hoch, die ich habe. Ich wünsche Ihnen alles alles Gute. Bis zum nächsten Computerschaden bzw. Frage!“

„ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich das wahnsinnig mutig von Ihnen finde dass Sie sich geoutet haben und möchte Ihnen alles Gute wünschen. Das hätte ich Ihnen gerne am Telefon gesagt, aber leider erreiche ich Sie nicht.“

„Ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Kraft!
Sie sind immer kompetent, hilfsbereit und freundlich!“

„Habe in der Mitarbeiterzeitung von den "Neuigkeiten" erfahren und möchte Ihnen meine Anerkennung für so viel Mut zur Wahrheit aussprechen. …(persönliches)…  Ich habe Sie immer als einen stets hilfsbereiten und freundlichen Menschen kennen gelernt - das bleiben Sie in meinem Gedächtnis, auch wenn wir durch die örtliche Trennung jetzt wohl kaum noch miteinander zu tun haben. Wünsche Ihnen auch weiterhin  alles erdenklich Gute!“

„willkommen im Kreise des vermeintlich schwachen Geschlechts.
Wir möchten Ihnen gegenüber unsere Bewunderung über die Entschlossenheit und den Mut zum Ausdruck bringen.
Wir wünschen Ihnen auf Ihrem weiteren Lebensweg alles erdenklich Gute, vor allem jedoch, dass Sie glücklich sind.
Gleichzeitig bitten wir um Nachsicht, falls uns mal im Telefonat noch aus alter Gewohnheit die Anrede „Herr Süßenguth“ rausrutschen sollte.“

„Respekt für Ihre Entscheidung!
Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Erfolg und vor allem Gesundheit für Ihr weiteres Leben.“

„Ihr Beitrag in der Mitarbeiterzeitung hat mich sehr berührt, ich akzeptiere Ihre Entscheidung nicht nur, ich bin von Ihrem Mut beeindruckt und wollte Sie das auch wissen lassen. Ich freue mich mit Ihnen und wünsche für die Zukunft alles Gute.“

„ich habe heute in der Mitarbeiterzeitung Ihre offenen Worte gelesen.
Es gehört sehr viel Mut dazu, sich in der Form der Öffentlichkeit zu stellen.
Ich habe Sie seit der Kreisgebietsreform immer als sehr hilfsbereiten und netten Ansprechpartner empfunden und es wird sich für mich, was Ihre Person betrifft auch zukünftig nichts ändern.
Im Gegenteil, ich bewundere Ihren Mut und Offenheit und wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft Ihren Weg zu gehen. Sie haben Recht, das jeder nur dieses eine Leben hat und jeder Mensch hat es verdient es so zu leben, wie er es für sich als richtig empfindet.
Das freut mich sehr und ich hoffe, dass eine sehr schöne Zeit vor Ihnen liegt.
Im Übrigen wollte ich Ihnen als Frau noch sagen, dass die Frau auf dem "Foto" sehr gut und vor allem glücklich aussieht.
Ich freue mich auf weitere gute Zusammenarbeit mit Ihnen.“
 
„durch die MAZ habe ich von Ihrem Outing erfahren. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles erdenklich Gute für den weiteren Weg Ihrer Selbstverwirklichung!
Glauben Sie an sich, egal wie schwer der Weg wird und egal was andere auch über Sie sagen und denken werden!
Ich ziehe meinen Hut vor Ihnen und bringe Ihnen den größten Respekt entgegen.
Seien Sie stolz auf sich!
Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche!“

„also an den neuen Namen muss ich mich erst einmal gewöhnen, aber das dürfte ja kein Problem sein.
Ich habe mich riesig gefreut, dass ich dich gleich persönlich getroffen habe, um dir Auge in Auge sagen zu können, was ich von deinem Outing halte. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass es mich nicht überrascht, ja im ersten Moment beinah umgehauen hat.
Ich kenne dich seit meiner Kindheit. Du warst immer der nette, hilfsbereite, freundliche und auch geduldige Sohn. Erschreckend finde ich, dass du dich bereits seit Jahrzehnten mit dieser inneren Zerrissenheit gequält hast. Jahrzehnte! Angst und Scham haben dich wahrscheinlich immer begleitet. Du hast vielleicht auch gemerkt, dass mich das nicht unberührt lässt. Umso toller finde ich es jetzt, dass du diesen Schritt gegangen bist. Für mich bist du immer noch der nette und hilfsbereite Mensch, den ich kenne - egal, ob du Wolfgang oder Andrea heißt. Es geht um dich und keinen anderen. Du hast lange genug Rücksicht auf alle und alles andere genommen. Denke jetzt an dich. Ich bin stolz auf das, was du getan hast. Ich bin aber auch stolz auf deine Familie, ohne die du das alles sicherlich nicht so bewältigen könntest. Denn auf deinem Weg wird es noch Höhen und Tiefen geben und da braucht man Halt, jemanden, dem man vertrauen kann. Lass dich bitte nicht unterkriegen von dummen Gereden, komischen Blicken, ja und auch nicht von den Krankenkassen!!!
Ich mag dich so wie du bist. Es kommt auf das Wesen des Menschen an und das ist bei dir herzensgut.
Vielleicht habe ich auch jetzt alles etwas durcheinander geschrieben, aber die Gedanken sprudelten gerade so aus mir heraus und ich musste das loswerden.
Meine Unterstützung hast du und ich werde auch gegenüber Kollegen so auftreten und argumentieren. Gestern kam auch eine Kollegin zu mir und wollte mir die "Neuigkeit" berichten. Als sie merkte, was ich für eine Einstellung dazu habe, war sie schnell wieder weg. Sie war auch irritiert von der Tatsache, dass du Kinder hast. …(persönliches)…  Auch wenn du innerlich spürst, dass irgendetwas anders ist, will man es zuerst nicht wahrhaben, will normal sein, nicht auffallen. Dann muss man erst mal begreifen, was anders ist und warum und es selbst akzeptieren und sich nicht mehr selbst belügen. Das passiert ja nicht von heut auf morgen, oder? Also vom Selbstbelügen bis zur Selbsterkenntnis ist es schon ein langer Weg und die größte Herausforderung ist es, sich der Öffentlichkeit selbstbewusst und angstfrei zu stellen.  
Also geh deinen Weg!!! Du hast Begleiter und Unterstützer.“


Am 17.05.2011 hat endlich meine Hormontherapie angefangen. (siehe Seite "Meine Hormontherapie")


Im Juni habe ich mit der Bartentfernung mittels IPL begonnen. (siehe Seite "Die Bartentfernung")


August 2011 - jetzt fühle ich mich wohl (bis auf das "Erbstück" zwischen den Beinen)


Am 02.11.2011 habe ich meinen Antrag auf Vornamens- und Personenstandsänderung an das Amtsgericht Magdeburg abgeschickt. (siehe Seite „Meine VÄ/PÄ“)

Am 14.12.2011 habe ich einen Antrag auf Kostenübernahme für die geschlechtsangleichende Operation an die Krankenkasse gestellt (siehe Seite „Vor der OP“)

Am 05.01.2012 hatte ich ein Vorgespräch zur geschlechtsangleichenden Operation bei Frau Prof. Dr. Krege. (siehe Seite „Vor der OP“)

Am 12.04.2012 hatte ich meine geschlechtsangleichende Operation bei Frau Prof. Dr. Krege.



9 Kommentare:

  1. Deine Karola scheint mir ein genauso wundervoller, ungewöhnlicher Mensch zu sein, wie du auch.
    Euch beiden möge eure Liebe erhalten bleiben, wachsen und gedeihen.
    LG´s

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    1. Ist Sie! Mir tut es aber leid, ihr das anzutun, aber es geht nicht anders.
      Danke für Deine Wünsche.

      LG Andrea

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  2. Jetzt erst entdeckt und bin begeistert Andrea von die vielen Glückwünsche die dir zuteil wurden.

    Svenja

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  3. liebe andrea ich habe das alles noch vor mir ich stehe noch am anfang meiner therapie und man macht es mir nicht leicht. das outing vor familie und freunde hatte ich bereits und meine familie lässt mich damit alleine stehn. Hut ab für deine carola, so eine liebe findet man selten.
    was kann ich tun das mein therapeut mich als mann sieht . er sagte mir zum 2. mal er sieht vor sich keinen mann.. allerdings komme ich aus der gothrockszene, dort sehen selbst die männer feminin aus zum teil. hast du evtl einen rat für mich ? das wäre super lieb . danke . dir wünsche ich viel glück in deinem leben . Lg Sabine.K

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    1. Hallo Sabine,

      das mit dem Rat ist nicht so einfach. Ich kenne dich nicht. Es gibt da keinen allgemeinen „Rat“. Du kannst mich gerne anrufen (Nr. Steht im Impressum), aber letztendlich musst Du da selber durch. Im Augenblick ist nur leider meine Festnetznummer wegen eines Providerwechsels nicht erreichbar. Versuche es in ein paar Tagen. Ich hoffe, dass es dann klappt.

      LG Andrea

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  4. Hallo Andrea,

    ich bewundere deinen Mut und wie du deinen Weg zur Frau geschafft hast. Ich selber bin eine Transfrau und bin noch am Anfang dieses Weges.

    LG Jasmin

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    1. Hallo Jasmin,

      danke für Deinen Kommentar.
      Ich drücke Dir für deinen Weg alles Gute und wünsche Dir, dass Du nicht all zu viele Steine in diesen Weg gelegt bekommst.

      LG Andrea

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  5. Hallo ich habe ne frage ich habe eine (TSI) so wurde es mir so gesagt und wollte fragen ob sie eine Selbsthilfegruppe in Magdeburg kennen. mfg

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    1. Hallo,

      leider nicht. Die Nächste, die ich kenne ist in Wolfsburg.

      LG Andrea

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