Mein wahres Leben: Mails

Freitag, 8. März 2013

Mails

Immer wieder bekomme ich Mails von Menschen, die über meinen Blog „gestolpert“ sind und mir mitteilen, das sie in einer ähnliche Lage sind, wie ich mal war. Die Ängste und Probleme sind immer ähnlich: Angst das ihre Ehe / Familie zerbricht – Angst vor dummen Sprüchen und Anpöbeleien – Angst dass das Leben als Frau nicht lebbar ist und mehr. 
Dabei scheint der Druck mit fortschreitendem Alter immer größer zu werden, was ich auch aus meiner Erfahrung bestätigen kann. Ich habe vor meinem Outing auch eine Riesenangst gehabt. 
Wie ich es geschafft habe, diese zu überwinden, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr. Vielleicht war mir irgendwann alles egal. Ich konnte einfach nicht mehr so weiter leben. 
Da bei mir ja so mehr oder weniger alles gut gegangen ist, bin ich auch scheinbar so etwas Ähnliches wie ein „Vorbild“. 
Warum lief es so verhältnismäßig gut? Ich glaube es war eine Mischung aus viel Glück, die richtige Frau zu haben, eine glückliche Ehe zu führen, zum entscheidenden Augenblick das Richtige zu tun, konsequent zu sein und zu dem zu stehen, was ich nun mal bin. 
Anderen helfen tue ich gerne. Aber ich bin kein Arzt oder Psychologe und kenne die jeweiligen Umstände nicht. Damit ist meine Hilfe eingeschränkt. Ich kann Euch sagen, was ich gemacht habe, wie es bei mir war. Ob das aber für Euch das Richtige ist, weiß ich nicht. Das müsst Ihr letztendlich selbst wissen. 

Hier ist mal eine solche Mail, anonymisiert und mit Einverständnis des Absenders: 
Liebe Andrea, 

endlich habe ich Zeit gefunden mich bei Dir außerhalb Deines Blogs zu melden. Ich bin allein zu Hause und sitze vorm Rechner so wie ich mich eigentlich am liebsten im gesamten Alltag zeigen möchte und wer ich wirklich bin. Vielleicht kann ich in nächster Zeit mal ein Foto von mir hochladen und Dir senden. 
Wie schon erwähnt, bin ich nicht nur gefangen in diesem furchtbaren männlichen Körper nebst total überflüssigem Anhängsel, nein dazu kommt auch noch mein "so abgesicherter sozialer Status" als vollkommener Ehemann, selbstständiger Handwerker, Fußballer etc. 
Hübsche Frau, wohlgeratene Kinder u. Haus eigentlich für ein perfektes Leben alles vorhanden! Doch der Druck endlich in mein wahres Ich gehen zu dürfen, wird mit zunehmendem Alter im größer. Ja oftmals überrollt mich eine richtige urgewaltige Welle nach diesem Verlangen. Ich spiele meine Rolle auf dieser Bühne auch schon viel zu lange.
Doch meine Psychologin warnt mich immer wieder und gibt mir für diesen Weg von Ihrer Seite her, kein grünes Licht, auch nicht für einen Gutachter. Mein Verstand sagt mir, dass ihre Argumente für meine Zukunft als Frau, für mich sehr schwierig oder fast nicht lebbar sein dürften, verständlich und theoretisch nachvollziehbar sind! 
Doch was ist mit meiner Seele, meinen Gefühlen? Ich bin doch kein Mann, dass hat sie doch so auch erkannt. Ich hole mir jetzt in Abstimmung mit ihr noch eine zweite Meinung ein, ich gehe zu einer Dipl.- Psychologin in die Uniklinik … die sich schon seit langem mit der Problematik der TS beschäftigt. Kannst Du auch googeln "Dipl. Psych. Frau …", eventuell geleitet sie mich dann auch zu weiteren Ärzten der Uniklinik wie z.B. Endokrinologen. Mal sehen ob mir das weiter hilft? 
Vor dem Weg zur vollkommenen Frau habe ich null Angst, nur vor dem Outing meiner Familie und der weiteren Umwelt, vor allem was darauf folgen könnte. Das ist wie eine unüberwindbare Mauer in meinem Kopf, alleine schaffe ich es sicher nicht diese Mauer zu durchbrechen bzw. zu überwinden. Ich pralle faktisch immer wieder an ihr ab und schnelle tausende Meter von meinem Ziel zurück und das nun schon eine unerträgliche Ewigkeit. 

Tut mir sehr leid, dass ich erst an dieser Stelle nach Deinem Befinden frage. Du hast es ja schon länger geschafft, wie fühlst Du Dich eigentlich jetzt? Wie hast Du den Moment empfunden als Du endlich als Frau die Klinik verlassen hast? 
Ich möchte Dir auf keinen Fall zu nahe treten aber wie fühlt sich das Frau sein jetzt an? 
In Svenjas Blog habe ich vor längerer Zeit mal geschrieben, dass ich mich als Mann so richtig vergewaltigt fühle. Ich darf das Gefühl nicht haben, wie es ist ein Kind zu empfangen, unter meinem Herzen austragen zu dürfen und zu gebären. All das was eine Bio Frau ganz einfach darf und kann. Gut abgesehen von der Prozentzahl der Bio Frauen die keine Kinder bekommen können. Uns fallen die Haare aus, Muskeln ohne Ende usw. Ist doch ein Elend. 

Liebe Andrea mir fallen tausend Dinge ein die ich Dir gern mitteilen bzw. Dich fragen würde. Ich hoffe, ich belaste Dich damit nicht! Deshalb werde ich vorerst diese eh schon lange Mail beenden. Wenn ich darf, später gern mehr oder auch mal per Telefon, wann kann man Dich den am besten telef. erreichen? 
Danke für Dein lesendes Auge und Verständnis 

Sei lieb gegrüßt von … 
und das ist meine Antwort: 
Hallo …, 

mir ging es da ähnlich. Der Druck wird immer größer, bis man es einfach nicht mehr aushält. Ich glaube aber, so „schadlos“ wie bei mir kann es eigentlich nur laufen, wenn man auch ideale Bedingungen hat. Da gehört auch eine sehr gute Ehe dazu. Bröckelt es da schon, ist das Outing das endgültige Aus der Beziehung. Trotzdem waren bei uns so ca. die ersten vier Monate schwierig. Klar, meine Frau hat nun mal einen Mann geheiratet und ist nicht lesbisch. 
Hast Du erst mal angefangen dich zu outen, kannst und willst Du es nicht mehr bremsen. Das ist meine Erfahrung. Aber den entscheidenden Schritt zu tun, ist nicht einfach. Ich habe den entscheidenden Schritt gewagt und es ist gut gegangen. Bei vielen geht er nicht gut. 
Wie es bei Dir läuft, weiß ich nicht. Du musst dich fragen, hältst Du ein weiteres Leben als Mann in Zukunft noch lange aus? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. 
Ich habe es immer wieder aufgeschoben, bis es nicht mehr ging. War es falsch? War früher die Zeit dafür schon reif? Ich weiß es nicht. Ich will damit sagen, Du alleine musst versuchen, ein Gefühl dafür zu entwickeln, was für Dich das Beste ist. Wichtig ist aber, dass Du es behutsam machst, damit deine Frau Zeit hat, es zu verstehen. 
Wenn Du diesen Schritt gehst, dann muss Dir auch klar sein, dass Du dann, vor allem am Anfang, nicht perfekt bist. Mit der Zeit wird Deine „Weiblichkeit“ zwar immer besser werden, aber es wird dauern. Umso älter man ist, umso schwieriger wird es. Bei vielen Dingen kann oder muss man auch nachhelfen. Es ist dann aber eine Frage, ob man z. B bei Operationen das Risiko eingehen will (z. B. Stimmband-OP) und das nötige Kleingeld hat (z. B. Gesichtsfeminisierung). Anderes ist fast Pflicht, wie z. B. Bartentfernung (empfehlenswert vor dem Leben als Frau zu machen). 

Eine zweite Meinung einholen, kann erst mal nichts schaden. Aber was machst Du, wenn dann auch empfohlen wird, Dich nicht zu outen? Ich glaube, dann wird dein innerer Druck sogar noch größer, da dann diese Mauer als noch unüberwindbarer empfunden wird. 

Was die Umwelt denkt, muss Dir egal sein. Es ist auch nicht entscheidend. Getratscht wird sowieso über jeden. Der Schlüssel ist deine Frau. Schaffst Du es, dass sie zu Dir steht und dich nicht verlässt, dann werden auch die Familie, Freunde und Bekannte im Wesentlichen damit keine Probleme haben bzw. sich damit arrangieren. 
Aber will sie sich von Dir trennen, werden die Meisten auf der Seite deiner Frau stehen. Denn augenscheinlich bist ja Du „schuld“. 
Deinen Kunden wird das mehr oder weniger egal sein, Hauptsache sie bekommen für ihr Geld gute Arbeit. 

Mir geht es gut, bis auf die Kleinigkeit mit dem Harnröhrenausgang. Ob das jetzt alles in Ordnung ist – muss ich wahrscheinlich bis zum 22. März warten. Da muss ich nach Hamburg zur Nachuntersuchung und Ziehen der restlichen Fäden. Ich fühle mich auch gut. Das, was ich gemacht habe, war genau richtig. Viele, die ich schon länger kenne, sagen mir auch, dass ich jetzt ein ganz anderer Mensch geworden bin. Außer, dass sich mein Äußeres zum positiven geändert hat, ist auch meine Ausstrahlung eine ganz andere geworden. Kein Wunder, ich muss ja nichts mehr in mir „hineinfressen“. 
Als ich nach der OP aufgewacht bin und ich wusste, dass das „Ding“ da unten weg ist, war schon überwältigend. Gefühlt habe ich da noch nichts und es war auch alles dick eingepackt, aber der Gedanke, es endlich geschafft zu haben, war befreiend. Und als ich dann nach ein paar Tagen es auch sehen konnte, war schon ein schönes Gefühl, obwohl der Anblick – alles geschwollen und rot und blau – nicht gerade schön war. 

Wie fühlt sich das Frau sein jetzt an? Genau richtig. Es ist für mich jetzt einfach normal, so zu sein. Ich bin einfach nicht mehr im falschen Körper, was ich definitiv vorher war. Ich kann einfach alles das machen, was Frauen können und dürfen. Ich bin eine Frau! 
Leider können wir nie ein Kind gebären. Schade! Da bleibt mir nur der Trost, dass es auch Bio-Frauen gibt, die das nicht können. 

Du belastest mich nicht. Ich komme nur nicht immer dazu, Mails gleich zu beantworten. Auf dem Festnetz bin ich am besten abends zu erreichen. Auf dem Handy auch am Tag. Falls es gerade nicht geht, werde ich es schon sagen. Die Nummern stehen im Impressum. 

LG Andrea
Eure Andrea

2 Kommentare:

  1. Mal so ganz provokant gefragt, wozu wartet der oder die, je nach Definition, Mailschreiber/in auf den Segen der Psychologin? Soll da jemand eine Entscheidung treffen, die man nur selbst treffen kann? Braucht da jemand einen "Sündenbock" falls es schief gehen sollte?
    Die Entscheidung, ob man sich als Mann oder Frau fühlt, kann man nur für sich alleine treffen. Dazu braucht es keine Psychologin. Diese Leute braucht man erst nach der eigenen Entscheidung. Denn der Gesetzgeber hat nun mal vor weitergehende Geschichten wie Vornamens- oder Geschlechtszugehörigkeitsänderung die Befragung und Begutachtung durch Psychologen gestellt.
    Was man dann aus der Sache macht liegt wieder im eigenen Ermessen. Man kann vieles muss aber weniges machen. Bis auf die Tatsache dass man zu seiner getroffenen Entscheidung stehen sollte, muss man im Prinzip überhaupt nichts machen außer dass man endlich anfangen soll zu Leben.

    Ich weiß dass ich manches Mal ein wenig zu direkt bin, aber es hat überhaupt keinen Sinn wie eine Katze um den heißen Brei herum zu schleichen. Da wird es Zeit eine Entscheidung zu treffen. Vielleicht sollte die Psychologin mehr daran arbeiten, dass man lernt Entscheidungen zu treffen, als dass sie die Entscheidungen trifft.

    In diesem Sinn...ein paar nachdenkliche Tage.

    Christine

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  2. Hallo

    ..ich bin nicht ganz der Meinung von Christine, denn es gibt so viele unterschiedliche Charaktere. Es gibt wahrlich Menschen, die können ihren Weg geradewegs gehen und es gibt welche, die gehen "viele Kurven".
    Natürlich wird der Druck immer größer, aber auch die Angst vorm Outing steig ins Unermessliche.
    Die Psychologin sollte nicht daran arbeiten, dass man lernt Entscheidungen zu treffen, denn das ist Automatismus, sondern sie sollte sich den Menschen g e n a u anschauen und kennen lernen und ihm mit Rat beiseite stehen.

    Bei mir ist das jedenfalls auch so. Erst nach vielen Jahren habe ich mich getraut, zu outen und viele Jahre vorher schon gewusst, dass ich im falschen Körper stecke. Meine "Gedankenmühle" war diesbezüglich immer an. Doch seit Samstag ist sie aus, nachdem ich mein Gutachten bekommen habe.
    Genau jetzt, sind auch die letzten Zweifel in mir verflogen.

    @ Mailschreiber/in
    ..du schreibst, dass du nicht glücklich bist mit deiner jetzigen Situation. denke doch mal so rum, was hast du denn zu verlieren wenn du deinen Weg gehst?? ..meiner Meinung nach fehlt dir Selbstvertrauen und das lässt dich immer wieder "fallen" von der Mauer.

    wünsche euch einen ruhigen Start in die neue Woche

    LG Yuna


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