Mein wahres Leben: Transsexualität und Computerspiele

Samstag, 7. Mai 2016

Transsexualität und Computerspiele


Auf den ersten Blick scheinen die Themen Transsexualität und Computerspiele so gar nichts gemeinsam zu haben. Ein Spiel ist ein Spiel und Transsexualität ist so ziemlich das Gegenteil von einem Spiel.

Und trotzdem ist mir das Thema TS und Computerspiele immer mal wieder begegnet, so auch in diesem Blogpost über Transgender in "second life | Gor". Die Autorin hat sich da als Außenstehende recht gut über das Thema Transsexualität informiert und geht der sehr speziellen Frage nach wie transsexuelle Charactere in diesem Rollenspiel überhaupt spielbar wären.

Dieser Post reizte mich zum Kommentieren und auch zum weiteren Nachdenken und zur Recherche über dieses Thema. Daraus entstand im August 2012 der folgende Artikel, den ich nun, leicht überarbeitet, hier bei Andrea re-poste.

Den Grundgedanken transsexueller Charactere fand ich zunächst sehr fremdartig, denn ich konnte mir nicht vorstellen dass es jemanden gibt, der in einem Computerspiel in dem man sich das Geschlecht selbst auswählen kann, freiwillig Transsexualität leben möchte. Es ist doch schon im Leben schwer genug, dann muß es im Spiel doch nicht auch noch sein, wenigstens ad hoc dort schon mal Vollweib leben wäre doch viel besser.

Das Ganze fußte auf meinen Erfahrungen aus meiner eigenen Gamer-Zeit, in der ich fast ausschließlich mit weiblichen nicknames unterwegs war und interessanterweise von Menschen, die mich nur über das kannten was sie von mir in Foren lasen, oft auch für eine Frau gehalten wurde. Rückblickend ist es schon fast Ironie dass sich einige wenige auch im Teamspeak nur schwer von ihrer Meinung abbringen ließen. Teils war das recht lustig, so haben wir einmal zu einem Dutzend Leuten die sich kannten, einen Clan aufgebaut der nach außen hin nur aus Mädels bestand, und es war schon drollig wie die anderen mit uns umgingen bevor sich dann doch herumsprach wer dahinter steckte.

Das waren sozusagen meine ersten Gehversuche in einer weiblichen Rolle, und ich fand es damals schon sehr angenehm. Zu dieser Zeit hatte ich auch schon meine Zweifel an meiner angeborenen männlichen Rolle.

Später habe ich von anderen gehört die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und Rollenspiele als eine Möglichkeit genutzt haben ihre Wunsch-Identität wenigstens online zu leben. Dies ist in einem Artikel aus der ZEIT (2011) beschrieben in dem der Weg von Morgan McCormick geschildert wird, einer Transfrau die ihre gewünschte Rolle sehr intensiv online gelebt hat bevor sie ihre Transition begann. Ihr Blog ist übrigens auch einen Besuch wert.


In diesem Zusammenhang sind natürlich auch die Transgender-Sims eine Erwähnung wert:

ehemals: http://www.transgendersims.com

Die Webseite gibt es inzwischen nicht mehr, darüber finden sich nur noch Artikel wie dieser hier von Stana in ihrem "femulate"-Blog.

"Style, Fashion and Community Because Boys Will Be Girls" klang ja fast wie im realen Leben und weiter ging es mit:
Get into the great world of being a girl, and treat your male sims with hot style and fashion only girls could have before. You are welcome to join in on the community, discuss and enjoy the creations and downloads.
Da die zugehörige Community fast 2.000 Mitglieder hatte schien es also einen recht großen Bedarf zu geben, die Sims mal anders zu spielen. Zunächst hatte ich das für reines Crossdressing gehalten, aber wenn ich mir Diskussionen wie diese hier durchlese oder diese dann scheint es auch bei den Sims ganz klare Fälle von Transsexualität zu geben die sich, wie im realen Leben auch, oft in früher Jugend zeigen. Und da sage noch einer Computerspiele seien realitätsfern... ;)

EA Arts, die Macher der Sims, kultivieren übrigens weiterhin ein gewisses Bekenntnis zur LGBT-Gemeinschaft:


In einem Artikel aus gamezone ist auch beschrieben, daß dies bisweilen unschöne Nebenwirkungen hat. Wegen der Möglichkeit der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft landeten die Sims 4 in Rußland in der Kategorie 18+...


Transgender sind in der Computerspielszene angekommen. Weitaus überraschender als diese Tatsache ist, dass dies keine neue Entwicklung ist. Die erste geschlechtlich uneindeutige Spielfigur feiert 2017 schon ihren 30.Geburtstag, es ist ein kleiner Dinosaurier namens Birdo:



Seinen ersten Auftritt hatte Birdo am 10.Juli 1987 im Spiel "Doki Doki Panic", welches aber nur für den japanischen Markt vorgesehen war, ein Jahr später wurde Birdo dann mit "Super Mario Bros. 2" international. Die geschlechtliche Zuordnung von Birdo war immer uneindeutig, in den japanischen Versionen war er fast durchgängig männlich, international war er z.B. in "Super Mario Bros. 2" zwar männlich, fühlte sich aber weiblich und wollte "Birdetta" genannt werden. In den sehr späten Auftritten bei den "Mario Sports Games" hat Birdo dann ein "unbestimmtes Geschlecht".

Birdo finde ich zwar richtig süss aber so recht konnte ich mich als Transfrau mit ihr nicht identifizieren, ich mochte nicht so unbedingt in Richtung eines rosa Dinosauriers transitionieren.

Vielleicht haben die Leute von Capcom ähnlich gedacht als sie "Final Fight" schufen, wo Poison im Dezember 1989 ihren ersten Auftritt hatte:



Poison startete ihre Karriere als Frau, bei den internationalen Versionen hatten die Leute von Capcom USA allerdings Bedenken daß es dann dazu kommen könnte das Männer Frauen schlagen würden. So kehrte man schließlich zu dem ursprünglichen Design zurück nach dem Posion ein(e) "new-half" sei, was in Japan umgangssprachlich entweder nicht operierte Transfrauen oder Transvestiten bezeichnet. Im weiteren Verlauf wurde Poison dann zur Transfrau, wobei sie für Capcom USA post-OP ist, für die Kollegen aus Japan dagegen pre-OP. Schon eine interessante Differenzierung deren Grund mir leider nicht bekannt ist.

Auf Birdo und Poison folgten bis heute noch viele weitere Figuren in Computerspielen deren geschlechtliche Zuordnung uneindeutig oder auch eindeutig trans* ist. Einige Links zum vertieften Nachlesen finden sich am Ende meines Posts.

So gesehen ist die Transsexualität schon lange in den Computerspielen angekommen, genau betrachtet waren sie sogar dem großen Rest der Gesellschaft um Einiges voraus.

Die Entwicklung geht weiter, so gibt es seit 2012 mit Dys4ia ein Spiel welches einige Kenntnisse über Transsexualität vermittelt und im August 2013 fand dann in San Francisco die GaymerX statt, die erste LGBT-Spielemesse.

Bemerkenswert finde ich, seit wie langer Zeit das Thema LGBT schon in Computerspielen präsent ist und wie vielfältig sich die diesbezügliche Szene inzwischen entwickelt hat.


Einige weitere Links zum Thema:

Giantbomb, 2011, "Gay and Transgender Video Game Characters (Old thread)"
Wikipedia (engl), "Birdo"
BuzzFeed, 9.05.2011, "16 LGBT Video Game Characters"
OUT magazine, 3.11.2013, "Trans-Friendly Video Game Characters"


Im Artikel verwendete Links in der Reihenfolge ihres Auftretens:

Coris Second Life, 11.08.2012, "Gorean Transgender"
ZEIT online, 15.09.2011, "Games, die ein Leben veränderten"
translabyrinth.com, "a lesbian transsexual blog" (Blog von Morgan McCormick)
Stana's femulate, 10.07.2016, "T Sims"
Mod The Sims, 2.01.2011, "transgender sims?"
Mod The Sims, 6.09.2014, "Playing Transgender Sims?"
Gamezone, 30.06.2014, "The Sims 4 shows support for LGBT community"
Giantbomb, 18.09.2015, "Birdo"
Giantbomb, 12.08.2014, "Poison"
CNN Travel, 2.07.2012, "Japan's blurred genders: Embracing my New Half"
Wikipedia (engl), "Dys4ia"
Wikipedia (engl), "GaymerX"


3 Kommentare:

  1. Hallo Corinna,

    vielen Dank für Deinen Post.
    Hier noch eine Ergänzung, die zeigt, dass die Toleranz manchmal doch nicht so ausgeprägt ist, wie man denkt.
    Nach der Veröffentlichung des Computerspiels „Baldur's Gate: Siege of Dragonspear“, in dem es einen Transgender-Charakter gibt, waren viele Fans nicht gerade begeistert davon und bewerteten das Spiel schlecht. Nachzulesen bei www.gulli.com: „Transsexueller Charakter in Computerspiel führt zu negativen Bewertungen“

    LG Andrea

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    1. Hallo Andrea,

      interessant, den kannte ich noch nicht. Meinen Artikel hatte ich schon vor diesen Ereignissen überarbeitet.

      Vieles von dem, was sich derzeit in den USA abspielt, ist dem Präsidentschaftswahlkampf geschuldet. Ich habe mir Gamers Flood Baldur’s Gate Expansion with Negative Reviews After It Introduces a Transgender Character durchgelesen und fand dort:

      "Though these user reviews also cite other problems with the game, including apparent bugs and an unsatisfactory multiplayer component, the majority of these reviews devolve into panning the game's writing, focusing upon its supposed "social justice agenda." Despite the game's lone review from an actual outlet awarding it 87/100, an influx of user reviews are giving it the lowest possible score available, accompanying these reviews with complaints of the game "forcing gender politics down [their] throats."

      The game currently sits at a 3.6 out of 10 on Metacritic's user reviews section and 2 out of 5 on GOG, though has a Mostly Positive rating on Steam. Coincidentally, this is the only one of those three platforms that requires the user to own the game they're reviewing. Take a look at a few of these negative reviews below:"

      Die negativen Bewertungen kamen also offensichtlich mehrheitlich von Menschen, die das Spiel gar nicht besitzen. Für mich ist dies ein Anzeichen einer gesteuerten Kampagne und hat mMn nur wenig mit mangelnder Toleranz der Gaming-Community zu tun.

      Die darunter folgenden Slides lohnt es sich anzusehen. Oft findet man dort "SJW", das steht für "social justice warriors", und so benutzt ist dies ein Schimpfwort der US-amerikanischen Rechten (auch wenn Donald Trump dem Thema Transgender indifferenter gegenübersteht, darauf bezogen war es eher auf der Linie Ted Cruz).

      Im Artikel geht es weiter mit:

      "Amber Scott, a writer on the game, responded to these criticisms by saying: "As I've said before (and I won't say much more on this subject other than to get my perspective out there): I'm the writer and creator. I get to make decisions about who I write about and why. I don't like writing about straight/white/cis people all the time. It's not reflective of the real world, it sets up s/w/c as the "normal" baseline from which "other" characters must be added, and it's boring.

      "I consciously add as much diversity as I can to my writing and I don't care if people think that's "forced" or fake. I find choosing to write from a straight default just as artificial. I'm happy to be an SJW and I hope to write many Social Justice Games in the future that reach as many different types of people as possible. Everyone should get a chance to see themselves reflected in pop culture.""

      Gut gesprochen, sicher ist es bei manchen Fans aber auch die Enttäuschung darüber, sich mit der Fortsetzung des Spiels nun plötzlich mit der Transsexualität einer Spielfigur konfrontiert zu sehen. Die Begründung von Breitbart News in Developer’s Response to ‘Baldur’s Gate’ Controversy Misses the Point ist für mich teilweise nachvollziehbar, was bei mir aber einen sehr üblen Nachgeschmack hinterläßt ist, daß sich die bekannt rechtslastigen "Breitbart News" sehr früh mit diesem Thema befassten. Deshalb sehe ich auch diesen Artikel als (einen wesentlichen!) Teil der Kampagne an denn "Breitbart News" ist nicht irgendwer.

      In meinen Augen ist eine sachlich sicher gerechtfertigte Auseinandersetzung der Fans mit der Weiterentwicklung "ihres" Spiels hier Opfer politischer Kampagnen geworden.

      LG Corinna ;)

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    2. Nachtrag:

      Ich möchte doch noch dieses Thema "SJW" etwas verdeutlichen, das ist ein ähnliches Schimpfwort wie "freeriders" gegenüber den Anhängern von Bernie Sanders.

      Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, hier eine Karikatur von Ben Garrison zu diesem Thema.

      Ich schätze Ben Garrison wegen der Prägnanz und politischen Inkorrektheit seiner Karikaturen, auch wenn ich seine politischen Ansichten nicht teile. Er zeigt eine Facette der US-amerikanischen politischen Kultur, die hier in Deutschland weitgehend unbekannt ist, aber in den USA eine sehr wichtige Rolle spielt.

      Es ist diese Kritik am "Establishment", welche sich mit anderer Stoßrichtung übrigens auch bei Bernie Sanders findet, auch der mißtraut den Kräften im Hintergrund und ich meine das tut er auch zu recht. Wobei er natürlich selbst zu den SJWs zählt. Mit der schwarz-weiß-Betrachtung wie in deutschen Medien (die ich zum Thema USA inzwischen weitestgehend ignoriere) ist dies nicht zu verstehen.

      Es ist der Trend dieses amerikanischen Wahlkampfes daß man dem "Establishment" mißtraut, und nun versucht vor allem das rechte politische Lager, ebenfalls Kapital daraus zu schlagen. Nur so ist der Feldzug gegen SJW überhaupt zu verstehen.

      Eventuell hast du meinen Artikel über Ben Garrison und seine Karikaturen gelesen.

      LG Corinna ;)

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