Nachdem ich mich im Juli 2010 bei meiner Frau geoutet hatte, wurde mir bis Weihnachten 2010 klar, ich bin eine Frau, obwohl ich nicht so aussehe. Meine Annahme, dass es mir reichen wird, ab und an mal als Frau zu leben, hatte ich aufgegeben. Mir war jetzt bewusst, ich kann eigentlich nur als Frau glücklich sein. Bisher hatte ich versucht, meiner Rolle als Mann gerecht zu werden. Die Angst, meine feminine Seite zu zeigen hatte ich nach und nach überwunden. Aber so konnte es nicht weitergehen. Mein Entschluss stand fest. Den „Mann“ an mir fing ich regelrecht an zu hassen.
Viele Fragen waren noch offen. Wie wird sich mein Leben verändern? Bleibt mir meine Familie? Was werden die Leute sagen? Werde ich dann glücklich sein? Zumindest sah es so aus, das meine Frau bei mir bleibt, wenngleich sie natürlich darüber nicht begeistert war.
Von Ivy, einer TS, die ich in einem Jugendclub in Halberstadt kennen gelernt habe, hatte ich die Adresse von Dr. Seikowski bekommen.
Anfang Januar 2011 habe ich dann meinen Mut zusammengenommen und dort in Leipzig angerufen. Ich hatte Glück, ihn persönlich am Apparat zu haben. Nachdem ich kurz mein Problem geschildert hatte, gab er mir dann auch gleich einen Termin für den 3. Februar. Dazu brauchte ich aber noch eine Überweisung zu ihm von einem Hautarzt oder Urologen.
Zuerst habe ich versucht, einen Termin bei einem Hautarzt zu bekommen. So kurzfristig aber hoffnungslos. Überall wurde mir gesagt, das wäre so etwa in 3 Monaten möglich. Auch mein Argument, dass ich ja nur eine Überweisung benötige, hat nicht geholfen. Auch dazu wäre ja eine Untersuchung notwendig.
Dann habe ich es beim Urologen versucht. Dort habe ich dann einen Termin so in einen guten Monat bekommen, vorher angeblich nichts frei. Den habe ich dann erst mal genommen. Ich dachte, erst mal besser als nichts. Absagen kann man ja immer noch.
Der Versuch, woanders noch einen früheren Termin zu erhalten, hat leider auch nicht geklappt. Dann habe ich noch mal beim Urologen angerufen und versucht, mit lieben Worten und lieb bitten den Termin vorzuverlegen, aber die nette Dame ließ sich nicht erweichen.
Nachdem dann noch ein paar Stunden vergangen waren, habe ich dort nochmals angerufen. Ich dachte, vielleicht erbarmen sie sich doch, weil ich ihnen leid tue oder weil sie einfach nur Ruhe vor mir haben wollen. Dieses Mal war eine andere Sprechstundenhilfe am Telefon und ich sagte einfach: „Ich habe einen Termin bei Ihnen und kann dort nicht. Ist es möglich, diesen Termin vorzuverlegen.“ Und plötzlich hatte ich einen Termin in einer guten Woche.
Dann bin ich zu meinem Hausarzt wegen der Überweisung zum Urologen. Das Outing dort war kein Problem. Er fragte dann noch, ob er das auch seinen Sprechstundenhilfen sagen könne und wie die mich dann aufrufen sollten. Ich sagte natürlich ja und aufrufen sollten sie mich so, wie ich von anderen wahrgenommen werde. Also wenn ich nächstes Mal in weiblichen Sachen kommme, als Frau.
Beim Urologen dann gab ich meine Überweisung ab, auf der so in etwa stand „Verdacht auf Transsexualität“. An der Aufnahme wurde ich dann gefragt, was ich hier wolle. Ich sagte, dass ich eine Überweisung zum Psychologen brauche, damit er feststellen kann, ob ich transsexuell bin. Da die Aufnahme mitten im Wartezimmer war, sagte ich das alles natürlich ganz leise, damit es die anderen Patienten nicht mit bekommen.
Dann wurde ich gefragt, ob ich schon einmal eine Vorsorgeuntersuchung hatte, was ich verneinte. Damit wurde dann sofort begonnen. Fragebogen ausfüllen; warten, Blut abnehmen; warten, Urin abgeben; warten.
So nach etwa 2 Stunden wurde ich dann ins Sprechzimmer gerufen, musste, ohne das ich zu Wort gekommen bin mich ausziehen und wurde erst mal untersucht. Nachdem ich mich wieder angezogen hatte sagte dann der Doktor, es ist alles in Ordnung und ich könnte gehen.
Ich fragte ihn dann: „Und meine Überweisung?“ Er antwortete: „Was für eine Überweisung?“ Nachdem ich ihm dann erklärt hatte, dass ich nicht wegen der Voruntersuchung hier bin sondern eine Überweisung zum Psychologen benötige wegen meiner Transsexualität, sah er sich meine Überweisung zu ihm nochmals an und sagte: „Dann ziehen sie sich nochmals aus.“
Die Untersuchung wurde sozusagen wiederholt, wobei ich aber das Gefühl hatte, das die Begutachtung und das Abtasten meiner Geschlechtsteile noch viel ausgiebiger stattfand. Dann sagte er einfach: „Sie sind ein ‚Mann’!“ worauf ich dann verdutzt nur antwortete „Und meine Überweisung?“ – „Erhalten Sie vorne“.
Ich ging ins Wartezimmer an die Patientenaufnahme und sagte gerade, dass ich meine Überweisung haben möchte, da klopft mir jemand auf die Schulter und fragt, ob ich dann krank sei. Neben mir stand ein Arbeitskollege. Ich dachte nur, hoffentlich sagt die Sprechstundenhilfe jetzt nichts von einer Überweisung wegen Transsexualität. Das wäre ja ein denkbar schlechter Zeitpunkt für ein Zwangsouting gewesen. Aber sie sagte nichts, drückte mir die Überweisung in die Hand und ich sagte zum Arbeitskollegen, dass ich nur wegen einer Voruntersuchung da war und verschwand.
Nach Leipzig kamen dann meine Frau und ihre Schwester mit. Natürlich bin ich als Frau dort hin gefahren. Vor dem Termin mit Dr. Seikowski hatte ich noch einen Friseur- und Kosmetiktermin. In Halberstadt habe ich mich das damals noch nicht getraut, da zu diesem Zeitpunkt mein Outing noch nicht abgeschlossen war.
Meine Frau ist dann mit in die Therapiestunde gekommen. Nachdem ich mein „Problem“ kurz erläutert hatte, hat sich Dr. Seikowski mit uns unterhalten und dann die weitere Verfahrensweise dargelegt. Als „Hausaufgabe“ habe ich dann jede Menge Fragebögen mitbekommen und die Aufgabe, einen Transsexuellen Lebenslauf zu schreiben, was ich auch umgehend gemacht habe. In den nachfolgenden Wochen hatte ich dann in relativ kurzen Abständen mehrere Termine bei ihm, wobei immer meine Frau mit dabei war. Anhand der Fragebögen wurde dann ein Persönlichkeitsprofil angefertigt, auch für meine Frau, die auch Fragebögen ausgefüllt hatte.
Kleiner Auszug aus den Ergebnissen meiner Fragebogenauswertung |
Mein erstes medizinisch-psychologisches Gutachten erstellte er dann am 21.03.2011. Das ich Hormone nehmen werde und in Zukunft als Frau lebe, stand damals bereits fest, aber dass mein Leidensdruck so groß wird, dass ich bereits ein gutes Jahr später, am 12. April 2012 mich einer genitalangleichenden Operation unterziehen werde, ahnte ich da noch nicht.
Eure Andrea
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